Anzufangen ist wichtiger als anzukommen.
Suche

#cbg17 – Teil 1: Aussicht: mäßig

Strecke: Frankfurt bis Kälberau
Kilometer gesamt: 96,4 km
Höhenmeter gesamt: 718 hm
Streckencharakteristik: weitestgehend flach über Wald- und Feldwege, kurzes Schiebestück
Höhepunkte (subjektiv)Aussicht in der Nacht vom Weinberg

Der erste Weg am Tag der Abfahrt führt mich auf wackligen Beinen direkt zum Klo. Mir ist schwindelig und irgendwie flau. Das wird die Aufregung sein, denke ich mir. Nicht ohne Tränen verabschiede ich Frau und Kind an der Haustür. Und dann beginnt das große Warten. Lieber nochmal aufs Klo, mir ist gerade so danach. Danach in die Küche, ich sollte es mal mit Essen probieren, statt den leeren Magen ausschliesslich mit Kaffee zu füllen. Das Bike steht bepackt im Wohnzimmer. Ich koche Porridge und es bleibt drin. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, das bis zur Abfahrt meines Zuges nach Frankfurt noch 4 Stunden zu überbrücken sind. 4 Stunden Zeit sich jedes Horrorszenario in düsteren Farben auszumalen.

Eigentlich sollte heute ein geliehener Spottracker bei mir eintreffen, wenn man dem Orakel der DHL-Sendungsverfolgung Glauben schenken mag. Warten! Bevor es wieder im Bauch rumpelt, koche ich mir eine Portion Nudeln. Wieder sind 30 Minuten vergangen… hat sich der Minutenzeiger gerade nach hinten bewegt? Habe ich eigentlich Klopapier eingepackt? Am besten checke ich gleich nochmal den Luftdruck. Es klingelt! Die Post!, denke ich. Es ist aber nur der Nachbar, um mir mitzuteilen, dass der einäugige Kater von gegenüber wieder in unseren Garten gekackt hat. „Sie sind blass, geht es ihnen nicht gut?“ fragt er mich. „Vielleicht sollte ich auch mal in den Garten gehen?“ antworte ich. DHL kommt und fährt vorbei, heute gibt es keinen Tracker für mich.

Tür zu, ich gehe ins Schlafzimmer und lege mich in Embryonalstellung aufs Bett. Wenn ich jetzt einschliefe, würde ich den Zug verpassen und nicht pünktlich zum Start erscheinen können. Bevor ein Plan Gestalt annehmen kann, setze ich mich aufs Rad und fahre los. Erstmal in die eine, dann in die andere Richtung und schliesslich zum Bahnhof. Dort erwartet mich meine Frau, um mich nochmal zu verabschieden. Sie vertreibt die düsteren Wolken meines Gemüts, wünscht mir eine gute Fahrt und setzt mich in die S-Bahn. Dort esse ich einen Riegel. Früher hat der Hersteller Deos produziert, der Name und der Geschmack des Riegels verraten ihn. In der TV-Werbung für das Deo, sprang ein Mann von einer hohen Klippe ins aufgepeitschte Meer. So ähnlich fühlt sich die Landung des Riegelstückchens in meinem Magen an. Auf dem Boden des Waggons schlafe ich neben meinem Rad sitzend ein und träume wirres Zeug.

Frankfurt Hauptbahnhof. Ausstieg in Fahrtrichtung links. Mit Gunnar will ich mich hier treffen, noch gehe ich davon aus, dass wir gemeinsam in Berlin ankommen. Oder ich gar nicht. Je nachdem… Ein anderes Gleis, ein anderer Zug. Vor dem Zug Abiturienten…. der eine raucht heute zum ersten Mal, man sieht es ihm an. Leere Bierdosen, seelige Gesichter. Auf dem Boden Bierpfützen und Kippenstummel. Von dem Geruchsmix wird mir schlecht und ich setze mich in den Zug. Da kommt Gunnar und irgendwie sieht auch er nicht glücklich aus. Ihn begleiten Frau und Herr Pieroth vom Luftbrückenchapter e.V.. Kurzer Smalltalk bis zur Haltestelle Zeppelinheim. Wie lange ich unterwegs zu sein gedenke? Gar nicht, denke ich. Bis Dienstag, antworte ich. Treffpunkt ist am Terminal 4. Hier bekommt jeder der CBG-Aspiranten ein Freigetränk und eine Wurscht gestiftet von Luftbrückenchapter e.V.. Einige der Gesichter und Namen kenne ich bereits, andere Namen werden zu Gesichtern. Harald ist da, er grinst. Ich frage mich auf was er sich freut, denn er nimmt den Weg Singlespeed in der kniefeindlichen Übersetzung 46/22, dafür mit schmalem Gepäck in Angriff. Alter Haudegen!* Christopher ist da, sein Rad mehr Randonneur als Gravel. Aus einer Ecke fränkelt es, das muss Walter sein. Der Platz vor dem Kiosk ist rappelvoll. Wer hat noch keine Wurscht? Josh aus Göttingen kommt mir bekannt vor. Er erzählt, er wolle bis Fulda fahren und dann Pause machen. Seine Lenkertasche ist voll Erdnussbutterbrote. Recht hat er! Scheiß auf die Riegel.

Gunnar bläst zum Aufbruch, aber weit kommen wir nicht. Zunächst ist fotogen rumstehen am Luftbrückendenkmal angesagt. Und immer noch stoßen weitere Mitfahrer zu uns. Ich sehe ‘die Ente’ Stephan Ensthaler und Joachim Roselund von Bombtrack. Der Wind kühlt die Körper aus, aber noch haben nicht alle ihr Carepack abgeholt und den Haftungsausschluss unterschrieben. Das Carepack dient dem Transport der Sachspende, die die FahrerInnen nach Berlin bringen werden. Noch einmal rufe ich zu Hause an, wünsche meinem Sohn eine gute Nacht und mir, ich wäre schon in Berlin.

Gunnar bläst zum zweiten Mal zum Aufbruch und diesmal geht es wirklich los. Gleich wird Tempo gemacht, als ginge es darum, die 250 m Sprintwertung zu gewinnen. Aber egal, es rollt und das ist gut so. Schon touchiert mein Hinterrad das Vorderrad des hinter mir Fahrenden. ‘Idiot!’, denke ich. Kein Windschattenfahren… ich halte mich an Gunnar, ab und zu zwickt es im Bauch. Bis Darmstadt bleibt es dabei, dann bekomme ich Bauchkrämpfe. Eventuell nur Blähungen, aber ausprobieren möchte ich es nicht. Das Tempo ist zu hoch, ich lasse Gunnar fahren, sehe ihn mit vier anderen hinter einer Biegung verschwinden und komme mir mit einem Mal ziemlich verloren vor. Zum Glück halten mich die schlimmer werdenden Krämpfe vom Grübeln ab. Stattdessen werde ich sauer. Werde von Joachim überholt, ok der darf das. Treffe Christopher wieder, bin dankbar für die Ablenkung, aber kann und möchte mich nicht an Smalltalk beteiligen. Leiden und mir selber leid tun will ich.

Habe keinen Bock auf die Scheiße hier. Links taucht ein malerisch gelegener See auf, wie gemacht für ein frühes Nachtlager. Zwei Fahrer beziehen schon Quartier. Ich frage. Sie antworten, sie suchen nur etwas. Es ist Josh aus Göttingen mit seinem Kumpel. Ok, dann weiter. Werde vom Duo Josh in einem Affenzahn überholt, da krampft es gewaltig im Untergeschoss. Kalter Schweiß läuft meinen Rücken herab, als ich meinen Bock gerade durch ein versumpftes Stück Wiese zerre und an Zecken denke. Bodendecker wohin das Auge blickt, aber kein Weg? Doch, da vorne.

Im Dämmerlicht sehe ich zwei Gestalten samt Bikes am Boden. Es ist das Duo Josh und zumindest die Hälfte hat ein Problem. Ein nach hinten gedrehtes Schaltwerk, ein verbogenes Schaltauge. Haben die es gut, die können abbrechen. Helfen kann ich nicht, also fahre ich weiter. Und friere nun auch noch. Nach knapp drei Stunden Fahrzeit fahren wir an einem Imbiss vorbei. ‘Auszeit bei Alex’ so verrät es die Beschilderung und ich kehre ein, in der Hoffnung ein Klo und etwas Ruhe zu finden. Ein Klo gibt es…. aber im Untergeschoss ist nun alles ruhig. Ganz anders im Wirtsraum, der inzwischen von allerhand fahrendem Volk belagert ist. Ich bestelle Nudeln mit Bolognese und eine große Cola. Die Beine fühlen sich jetzt schon komplett leer an und auf meiner Haut steht kalt der Schweiß. Auf einem im Gastraum stehenden Gasofen versuche ich meine Klamotten zu trocknen und mich zu wärmen. Meiner Frau schreibe ich eine SMS: Habe Bauchschmerzen und Rückenschmerzen. Auf Antwort wartend sehe ich Kay zur Tür herein kommen. Vor knapp vier Wochen bin ich u.a. mit ihm zur Eröffnung des Fahrstil Klubhaus nach Heidelberg gefahren. Heute abend freue ich mich besonders über ein bekanntes Gesicht unter Fremden. Und auch Walter drückt sich mit jeder Menge Volk im Schlepptau durch die Tür.

Die gute Stimmung im Gastraum färbt ein wenig ab, doch die Nudeln bleiben zur Hälfte stehen und die Klamotten sind immer noch feucht. Ungefragt und ungebeten hänge ich mich an das lustige Grüppchen, denn inzwischen ist es stockfinster und ich habe keine Lust auf eine Solonummer.

Das Fahren in der Gruppe macht Spaß, Fahrrad fahren macht Spaß. Vielleicht schaffe ich es ja doch nach Berlin?! Zunächst aber müssen wir über den Main. Auf einer Brücke steht Kalli in dunkler, kalter Nacht und verteilt Bananen und Süßigkeiten von Hans Riegel an die passierenden Radfahrer. In der Bikepackerszene gibt es dafür einen Begriff: Trail Magic! Danke Kalli!

Banane stopft, hoffe ich zumindest. Wir fahren weiter durch die Nacht, an Schlaf scheint niemand zu denken und ich möchte nicht fragen. An einer Tanke gibts Kaffee, nicht für mich, stattdessen fülle ich meine Wasservorräte auf. Vor der Tanke spricht uns ein Taxifahrer an und stellt die Frage, die ich nicht zu stellen wagte: ‘Wo schlaft ihr?’ Die Antwort ist irgendwie unbefriedigend, weil wenig konkret. Es ist die Rede von einem Berg und dann mal schauen. Scheiss drauf, denke ich. Irgendwann falle ich sowieso vom Rad. Kay und ich fahren weiter, während sich der Rest der Gruppe in der Tanke noch aufwärmt.

Das ist ein eindeutiger Pluspunkt dieses Abends, denn so erreichen wir ‘den Berg’, einen Weinberg hinter Kälberau, noch vor den anderen. An fahren ist nicht zu denken, also schieben wir. Irgendwann taucht aus dem Dunkel zu unserer Rechten eine Behausung auf. Eine kleine Winzerhütte mit überdachter Terrasse und sensationellem Blick ins Tal. Es ist kurz nach zwölf und es stehen noch nicht mal 100 km auf der Uhr, aber ich muss schlafen. Auf der Terrasse haben es sich bereits zwei andere Teilnehmer bequem gemacht. Auf Nachfrage erfahre ich, dass sie hier nur kochen wollten und ihr Zelt etwas weiter oben am Hang aufgeschlagen haben. Kochen? Zelt? Es sei doch Urlaub und kein Rennen. Die Terrasse ist also frei und wird sogleich von Kay und mir okkupiert. Die Ankunft der Gruppe Walter kündigt sich durch tanzende Lichtkegel an. Die Prozession zieht jedoch weiter, während wir in die Schlafsäcke kriechen. Als ich endlich die Augen schließe, beginne ich zu zittern.

Kalt ist mir eigentlich nicht, ich fröstle in Schüben. Ich schlafe ein und werde vom eigenen Zittern wieder geweckt. Um kurz nach drei kehren auch die Bauchkrämpfe wieder. Und nichts was mich ablenken könnte. Ausser vielleicht das Feuchtigkeitsniveau in meiner Schlaf-, Biwacksackkombination. Um vier Uhr morgens krieche ich aus dem Schlafsack und suche mir zügig ein ungestörtes Plätzchen im Wald. Keine Sekunde zu früh. Als ich mich wieder in den Schlafsack lege, ist er nicht nur feucht, sondern eiskalt. Mit ist elend zu Mute, aber endlich schlafe ich ein.

*Achtung Spoiler! Harald wird durchziehen! Chapeaux! Ich ziehe meinen Hut immer wieder gerne!

Ende von Teil 1, hier gehts zu Teil 2!

  1. #cbg17: 1. Frankfurt – Kälberau
  2. #cbg17: 2. Kälberau – Pferdsdorf
  3. #cbg17: 3. Pferdsdorf – Othal
  4. #cbg17: 4. Othal – Berlin
4 Comments
  1. Anonymous

    10. Mai 2017 10:23

    4.5

  2. Anonymous

    11. Mai 2017 10:05

    5

  3. Christopher

    11. Mai 2017 18:39

    Deshalb warst Du so schweigsam beim Start – und ich texte Dich ohne Rücksicht auf Verluste voll. Hätteste halt was gesagt.

    Mich aber jetzt deswegen hier als Randonneur zu outen, nur weil ich (als einziger??) nen festen Gepäckträger am Rad hatte… Naja, hast ja Recht 😉

    Ansonsten: schöne Worte, wie immer!!

    • bernd

      11. Mai 2017 23:11

      Ahoi Christopher,
      Randonneur ist, und das mußt Du mir glauben, als Kompliment gedacht. Es waren aber noch mehr Gepäckträger am Start. Hättest Du mal am Kiosk Pause gemacht, hätte ich und dann wärst Du bestimmt nicht und so…
      ?
      Danke für die Blumen, cu in September!

Leave a Comment

Wir benutzen Cookies, um die Nutzerfreundlichkeit der Webseite zu verbessern. Durch Deinen Besuch stimmst Du dem zu.