Ob etwas erwähnenswert ist oder nicht, hängt von der Perspektive ab. So ist die bloße Erwähnung der Tatsache, dass ich am vergangenen Sonntag nach fast einem Jahr mal wieder ‘zum Spaß’ auf dem Rad gesessen habe eigentlich keine Erwähnung wert. ‘Zum Spaß’ in Anführungen, weil mir Rad fahren grundsätzlich Spaß macht, insofern ist so ziemlich jede Radfahrt ein Grund zur Freude. In dem genannten Kontext beziehe ich mich aber auf die Motivation. Eigentlich hatte ich nämlich keinen Grund, Rad fahren zu gehen. Vor nicht allzu langer Zeit, hatte ich beschlossen (und vor allem auch darüber geredet), nur noch Rad fahren zu gehen, wenn es ‘sinnvoll’ ist. Also nicht einfach nur so oder fürs Ego oder um sich und anderen etwas zu beweisen. Das greift im Nachgang betrachtet viel zu kurz und sagt einiges über ein entstandenes Missverständnis im Bezug auf meine Motivation aus. Nämlich, dass ich eine bestimmte Anzahl Kilometer und Höhenmeter im Jahr, zu fahren hätte.

Schneller, höher, weiter also. Bikepacking, Langstrecke, Festive500 und son Quatsch. Kann man alles machen. Ist lehrreich, lustig und schadet keinem, denn das Erlebnis ist wichtiger als das Ergebnis.

Dumm nur, wenn am Ende doch das eigene Ergebnis mit dem Anderer verglichen wird. Und eine mehrtägige Ausfahrt mit Freunden enttäuschte Gesichter produziert, weil man sich nicht über die Schönheit der Bergwelt unterhält, sondern darüber das man als Team nicht harmoniert, weil bei einigen der Grundspeed fehlt. Dazu noch der selbst auferlegte Stress, das alles möglichst lückenlos mit qualitativ hochwertigem Bildmaterial und nicht zuletzt mit den passenden, schönen Worten zu dokumentieren. Hat mich jemand dazu gezwungen? Nein! Dafür bezahlt? Auch nicht! Den Druck auf dem Kessel habe ich höchstselbst zu verantworten, was insoweit gut ist, als das ich ihn dann auch entweichen lassen kann. Und meine Antwort darauf war: Abstinenz.

Zunächst verspürte ich aber vorher lieb gewonnenen Aktivitäten gegenüber eine große Unlust. Ich ließ den HanseGravel 2019 sausen und verbrachte die Zeit mit Frau und Kind an der Nordsee. Und vermisste nichts. Im Juni des gleichen Jahres, nahm das Leben meiner Familie dann eine dramatische Wendung, die mir schmerzhaft deutlich machte, das alle auf dem Bike vollbrachten „Heldentaten”, der Erfog im Job und die Annehmlichkeiten im Alltag keinen nachhaltigen Wert haben. Dafür aber Liebe, Freundschaft und Achtsamkeit.

Der wesentliche und unbestreitbar sinnvollste Grund Rad fahren zu gehen ist, dem Körper und Geist etwas zu gönnen, eine Pause, die Möglichkeit, schlechte Energie abzulassen und gute Energie aufzunehmen, denn es bedarf einer stabilen Mitte, bevor man auch nur darüber nachdenken kann, anderen zu helfen. Wenn es mir gut geht, kann ich auch anderen Gutes tun. Wichtig ist dabei, sich nicht nur auf den ersten Satzteil zu beschränken! Neben den ganzen positiven physischen Auswirkungen, zeigt Radfahren auch ganz unmittelbar psychische Effekte: es ist Balsam für die Seele.

Der Wind bläst einem durch die Ohren ins Hirn, feudelt da mal so richtig durch und wirbelt sogar die ein oder andere gute Idee …

… und vieleicht sogar etwas Zuversicht hinter dem vor sich hin marodierenden mentalen Glutofen hervor. Das hatte ich nur im Angesicht der Trägödie des Lebens vergessen. So, nach diesem einleitenden Referat zurück zum Thema.

Der Enkel war also Fahrrad fahren. Alleine, logisch. So konnte mich auch niemand darauf aufmerksam machen, dass ich statt eines Helmes nur eine Mütze trug. Bis es mir selber auffiel, hatte ich 1/5 der Gesamtstrecke schon beinahe absolviert. Zum Glück war es aber eine warme Mütze und es ist nichts passiert. Meine Verwirrung vor dem Start ist damit zu erklären, dass ich an besagtem Sonntag freiwillig um 4.30 Uhr aufgestanden war, um auf der Terrasse zu meditieren. Seit ca. einem halben Jahr versuche ich das regelmäßig. Zu meditieren meine ich. Ja, ich bin einer dieser Männer, die auch vor Pilates und Yoga nicht zurückschrecken. Es ist nicht notwendig, zum Meditieren so früh aufzustehen, wenn auch nicht verkehrt. In einer Echoblase war mir ein Aufruf zur Massenmeditation weiter geleitet worden. Zur Beendigung der Corona-Krise. Ernsthaft. Weder bin ich Esotheriker, noch glaube ich an universelle göttliche Entitäten. Aber ich möchte daran glauben, dass da irgendwas ist. Eine Art höherer Macht, die uns alle umgibt und uns durchdringt. Manchmal reicht es ja auch, wenn man daran glaubt. Und schaden kann es eigentlich auch niemanden, wenn man meditiert.

Das Ziel der Massenmeditation war es, die kosmischen Zentralsonnen mittels eines weißen Lichts miteinander zu verbinden. Dieses sollte dann durch das Zentrum des Universums zurück zur Erde gebracht werden, wo es dann die Meditierenden durchdringend Heilung bringen sollte.

Eine ganz schöne Aufgabe für einen Sonntag morgen und ich versagte auf ganzer Linie.

Weder konnte ich ein weißes Licht visualisieren, noch weiß ich wo sich die kosmischen Zentralsonnen befinden und die Vorstellung, dass weißes Licht aus meinem Anus dringen könnte, irritiert mich. Also praktizierte ich die Meditation der liebevollen Güte. Und tatsächlich spürte ich im Verlauf der halben Stunde die ich meditierte eine tiefe innere Verbundenheit und eine seltsame Schwingung. Gut möglich aber auch, das ich einfach im Sitzen eingeschlafen bin. Im Anschluss an die Meditation verbrachte ich eine weitere Stunde sitzend mit geschlossenen Augen und dachte über die Zeit nach. Darüber, dass sie nicht vergeht, sondern konstant fließt. Und das wir uns in ihrem Fluß bewegen oder verharren. Mein kleiner innerer Buddha hatte die Kontrolle übernommen und ich ließ ihn gewähren.

Im Verlauf des vormittags erreichten mich dann Nachrichten, dass die Massenmeditation evtl. dazu hätte genutzt werden können, einer spirituellen Macht die Weltherrschaft…. hier hörte ich dann auf zu lesen. Gut, dass ich nicht gemäß der Anleitung meditiert hatte. Ha… die Macht ist stark in mir. Und in meiner Familie.

Auf dem Rad dann, mit dem Kopf im Wind (perfekter Schutz, danke Mütze!), gelang es mir innerhalb von Sekunden mich mit allem, was mich umgab verbunden zu fühlen und mich erfüllte eine ursprüngliche reine Freude. In der Achtsamkeitspraxis ist oft die Rede davon, bedingungslos freundlich zu sein. Das nehme ich mir des öfteren vor. Mal klappt es, mal nicht. Bedingungslos bedeutet, es einfach zu tun und nichts zu erwarten. Und ganz oft kommt auch nichts zurück.

Manchmal aber erhälst Du eine freudig überraschte Replik, ein schmetterndes ‘Morsche’, ein trällerndes ‘Hallo’, ein breites Grinsen.

Die Logik dahinter ist simpel: wenn ich jeder und jedem ein Lächeln oder ein freundliches Wort schenke, zeige ich damit: „Hallo Mensch, ich habe Dich wahrgenommen. Du bist wichtig. Und ich wünsche Dir einen wunderschönen Tag.“ Das einige Menschen darauf verwirrt reagieren, kann zu denken geben, wird mich aber nicht davon abhalten, auch weiterhin gute Wünsche zu verteilen. Allerdings hatte ich bei der Rückkehr in den heimischen Garten von hundertfachen Grüßen Fransen am Mund. Die Stunden auf dem Rad gaben mir Zeit, meine Gedanken zu ordnen und die gewonnenen Erkenntnisse machten diesen Sonntag für mich so bedeutungsvoll.