Anzufangen ist wichtiger als anzukommen.
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#cbg17 – Teil 3: Was tun, wenn kein Bus kommt?

Strecke: Pferdsdorf bis Othal
Kilometer gesamt: 183 km
Höhenmeter gesamt: 2.278 hm
Streckencharakteristik: Bis Bad Langesalza Sägezahn, tlw. auf losem Untergrund, tolle Trails, danach Rüttelpiste im Paris-Roubaix-Stil nur schlechter
Höhepunkte (subjektiv): Naturpark Hainich

Allen steht nach der kalten Nacht der Sinn nach einem fürstlichen Frühstück. Und wir wissen auch, wo es solches gibt. Eine Bäckereifachangestellte hat es uns geschäftstüchtig am Vorabend verraten. Wir riechen schon Eier mit Speck, aber vor unserem Ziel sind 300 HM zu überwinden, um nach Phillipsthal zu gelangen. Der Wille versetzt Berge und schon bald freuen wir uns über große mit Kaffee oder Tee gefüllte Pötte, Eier, süße und herzhafte Brötchen und Gespräche mit ein paar älteren Semestern. Wo kommt ihr her, wo wollt ihr hin? Berlin? Bis wann? Morgen? Wo fahrt ihr lang? Ich kaue und nicke oder schüttle den Kopf. Mehr braucht es nicht. 

Ein Blick auf die Uhr verheißt nichts, ausser das uns die Zeit wie Sand durch die Finger gleitet. Die Schlemmerrunde löst sich bald auf und einer nach dem anderen verlässt das heimelige Ambiente. Berlin ruft, nun auch mich. Schnell stecke ich mir noch ein Ei sowie ein süßes Brötchen ins Trikot und los gehts. Die ersten Kilometer fahren wir verhältnismäßig flach auf guten Straßen und machen so einige Kilometer gut. Unter wärmenden Sonnenstrahlen führt unser Weg auch durch ein Naturschutzgebiet. Diesen Umstand nutze ich für den vormittäglichen Anruf bei meiner Familie und erfahre, dass mein Sohn beim Klettern gestürzt ist und sich das Handgelenk geprellt hat. Das eigene weinende Kind lässt sofort alle Alarmglocken aufheulen und wir fahren weiter.

Die Richtung stimmt, denn die Familie ist im PKW Richtung Ostsee unterwegs. Über Felder fahren wir weiter nach Osten, die Wartburg liegt im Dunst eines nicht mehr so jungen Morgens. Und nicht zum ersten Mal muss ich an den Reformator denken, auf dessen längst verblassten Spuren wir uns bewegen. Ein echter Revolutzer dieser Luther. Und hätte er die Wahl gehabt, wäre er sicher als Bikepacker von der Wartburg nach Mainz gefahren.

Die Sonne scheint, ein Schild weist in Richtung Rennsteig und wir finden im hohen Gras den richtigen Weg nicht. Eine erdprobenbehaftete Abfahrt später stehen wir an einer zu kreuzenden Bundesstraße, der Track passt wieder. Das heißt die Richtung passt. Schenke ich der Anzeige meines Garmin Glauben, bewege ich mich die meiste Zeit 100 m und mehr neben dem Track. Dieser führt virtuell aber auch straight durch bebaute Flächen. Kurz stelle ich mir vor, wie Bewohner der Häuser schauen würden, wenn man Einlass begehren würde, um durch deren Küche zu radeln und über die Terrasse zu verschwinden.

Derweil geht es mal wieder bergauf. Und danach nochmal. Der logischen Konsequenz folgend, müsste es nun auch wieder bergab gehen, aber irgendwas stimmt nicht. Sobald ich aufhöre zu pedalieren, bleibe ich stehen. Also verlasse ich kurz meine liegende Position des Aerobars und fahre voll im Wind. Ein Gefälle im hohen einstelligen Bereich schafft es nicht, mich zu beschleunigen. Und das obwohl das Stück Straße auf dem wir uns bewegen, glatt ist wie ein Kinderpopo. Es weht ein respektabler Ostwind. Den Blick nach hinten spare ich mir, den anderen wird es nicht besser gehen. Eine Tankstelle dient als Sammelpunkt. Laut Track ist der Hainich nicht mehr weit und damit auch einer der letzten respektablen Zacken im Höhenprofil.

Über freies Land gefahren wird dabei jeder Meter zur Geduldsprobe. Schon freue ich mich auf die Steigungprozente des Hainich, denn diese absolviert man umsäumt von Sträuchern vorm Wind geschützt. Und ohne Wind wird es auch gleich wärmer. Kay pflanzt uns Phanatasien einer urigen Hütte mit noch uriger Verpflegung ein und wir tun unser Bestes. Auf einer der geschotterten Abfahrten wechselt eine entgegenkommende Gruppe Wanderer offenen Auges und mich in Sichtweite die Spur. Warum und wieso bleibt rätselhaft. Eine Kollision kann ich aber nur vermeiden, in dem ich ebenfalls die Spur wechsle und im tiefen Schotter bremse. Einen Moment sieht es so aus, als würde ich stürzen, aber den Gefallen tue ich niemandem. Dafür grüßt mein Mittelfinger.

Weiter gehts… der Hainich ist der Hammer. Wir fegen über schmale Trails, das erste Mal weiss ich meinen Salsa Woodchipper wirklich zu schätzen. Der leichte Flex entspannt die Handgelenke, die gekröpften Lenkerenden vermitteln für einen Dropbar ungewohnte Kontrolle. Für einen Moment schwebe ich. Auch einige Gegenanstiege drücken wir einfach weg. Am Horizont taucht eine Hütte auf. Die kilometerlangen Reihen parkender Autos trüben etwas den Eindruck des urigen Berggasthofs, aber egal, wir haben Hunger. Vor dem Lokal hängen wir unsere noch feuchten Schlafsäcke zum Trocknen in den Wind. Und wir treffen Markus wieder. Mir fällt auf, das man bestimmte Mitfahrer immer nur zu bestimmten Situationen trifft. Markus zum Beispiel immer beim Essen. Und immer dann, wenn es länger dauert. So wartet Markus schon eine halbe Stunde. Gemeinsam erobern wir einen Platz an der Sonne und schon wartet es sich lustiger. Wir bestellen, der Kellner liefert. Nur Markus und Kay starren die leere Tischdecke vor ihnen an.

Ausreichend Gelegenheit den Schlafsack zu wenden und Kaffee zu bestellen. Und so ein Stück Kuchen passt sicher auch noch in den Bauch. Und dem Murmeltier gleich, das täglich grüßt, taucht auch Walter wieder auf, um zu verkünden, dass der Frühling nun bald kommt. 90 Minuten dauert unser Aufenthalt in der Hainich Baude. 90 Minuten die uns später am Tag noch leid tun werden. Aber zuerst kommt die Abfahrt vom Hainich, die grandios genannt werden könnte, wenn der blöde die Fahrt ausbremsende Wind nicht wäre. Endlich erreichen wir Bad Langensalza. Entweder ist es die opulente Mahlzeit, der Kaffee danach oder die momentane Abwesenheit des Windes, auf jeden Fall fühle ich mich großartig wie selten bei einer Radfahrt. Ein Gefühl des Ewigen stellt sich ein. Es hält exakt so lange, bis wir wieder gegen den Wind eindrehen. Meine Nemesis! Zu dieser gesellt sich der in meinen Augen schlimmste Streckenabschnitt, hier nur als Auszug, aber erschöpfend beschrieben:

Aus dem Ort X hinaus ins Feld, hangaufwärts über Feldwege, dann nach rechts in den Wind eindrehen und dort auf einem Mix aus Schotter, Kopfsteinpflaster, Betonplatten und Asphaltresten dem Wahnsinn anheim fallen. Von vorne blästs, unten rüttelts und wenn man Pech hat, fällt man in Schlagloch oder in eine der zahlreichen Wasserrinnen. Wenn es wirklich gut läuft, kann man diesen Pisten über Kilometer voraus schauend folgen, da sie tlw. wie mit einem Lineal gezogen scheinen. Einzige Abwechslung bilden hierbei die Agrarmonokulturen links und rechts des Weges. Josh erzählt uns was von Kadenz fahren, erntet dafür ungläubige Blicke und ich glaube nicht als Einziger im Dauerfeuer zu fluchen. Gebt mir Grenzsteinbetonplatten, aber sofort!

Der versprochene Aufschwung Ost ist in den hier angesiedelten Ortschaften nicht angekommen. Die Häuser sind so marode wie die Straßen, aber der Raps blüht. Dafür gibt es keine Apotheke, keinen Bäcker, erst recht keinen Supermarkt oder ein Kino. Und nach Glasfaserleitungen muss man nicht fragen, wenn das Geld nicht für Straßenlaternen reicht.

Bei Kilometer 121 rollen wir in Greußen ein. Aus einem getunten Audi A6 schallt mir ein freundliches „Scheiß Radfahrer“ entgegen und auch sonst scheint Greußen ein Ort feinster Klischeemalerei zu sein. Aber es gibt intakte Straßen und eine große Tankstelle. Mehr oder weniger wiederholt sich die Szenerie. Immer wieder fahren wir an großen Walpurgisfeuern und feiernden Menschen vorbei. Ansonsten bleibt es relativ trostlos. Nach 158 Kilometern halten wir noch einmal kurz Krisenrat. Weiterfahren und die Nacht durchmachen oder etwas zu essen und etwas Schutz vor dem Wind suchen? Josh ist dafür durchzufahren. Bei mir ist der Ofen aus, der Gegenwind hat mich fertig gemacht. Ausserdem habe ich Hunger. Wir beschließen dennoch weiter zu fahren und etwas Essbares aufzutreiben und dann zu entscheiden. Weitere 20 Kilometer später erspähen wir hinter Sangershausen einen McDonalds. 2 Cheeseburger und ein von der Kassiererin ausgewähltes Teegetränk heiße ich herzlichst willkommen. Wir diskutieren… Josh möchte unbedingt weiter, alleine fahren lassen möchten wir ihn aber nicht. Ein Kompromiss muss her… wie wäre es damit… wir suchen uns jetzt ein nettes Shelter, stehen dafür um 5.00 Uhr auf? Es ist ein guter Kompromiss, denn alle sind gleich unzufrieden. Ein letztes Mal für heute, stellen wir uns Kollege Gegenwind. Kay hat auf der Karte zwei Schutzhütten ausgemacht, die sich als Bushaltestellen entpuppen, aber sie bieten ausreichenden Schutz vor dem Wind. Am Ende kriechen wir nach 10,5 Stunden Bewegungszeit und 184 km in die Schlafsäcke. Schlafen werde ich aber auch in dieser Nacht nicht wirklich.

Ende von Teil 3, hier geht es zu Teil 4.

  1. #cbg17: 1. Frankfurt – Kälberau
  2. #cbg17: 2. Kälberau – Pferdsdorf
  3. #cbg17: 3. Pferdsdorf – Othal
  4. #cbg17: 4. Othal – Berlin
3 Comments
  1. Anonym

    12. Mai 2017 12:52

    5

  2. Anonym

    12. Mai 2017 18:10

    4.5

  3. Jochen

    13. Mai 2017 19:56

    Genau: dieses “Gefühl des Ewigen” gibt es nur auf dem Rad – auch wenn es nicht oft im Positiven vorkam: den folgenden Abschnitt hast Du präzise beschrieben, was für ein Hohn, diesem groben Linealstrich gegen den Wind zu folgen …

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